Wie ihr eine verdammt gute Rede schreibt
Es gibt viele verschiedene Wege, eine Rede zu schreiben. Ich skizziere hier EIN mögliches Vorgehen, bei dem ihr nicht viel falsch machen könnt. Wenn ihr mehr über das Reden schreiben und Reden halten lernen wollt, abonniert doch meinen Newsletter.
Es gibt viele verschiedene Wege, eine Rede zu schreiben. Ich skizziere hier EIN mögliches Vorgehen, bei dem ihr nicht viel falsch machen könnt. Wenn ihr mehr über das Reden schreiben und Reden halten lernen wollt, abonniert doch meinen Newsletter.
Wie ihr anfangt
Bevor ihr mit der Rede loslegt, machte ein kleines Brainstorming mit euch selbst. Schreibt Stichpunkte zu folgenden Themen auf:
Schritt 1 - Anekdote: Welche Anekdoten und gemeinsamen Erlebnisse verbindet ihr mit der Hauptperson und/oder dem Paar? Wann und wo wurde gelacht, geweint, geschimpft, getrunken, geflucht oder gehadert?
Schritt 2 - Charakter: Überlegt, von welcher Anekdote sich besonders gut auf typische Charaktereigenschaften der Person schließen lässt. Aus welchem der Erlebnisse lässt sich ableiten, ob die Person grundsätzlich besonders zuverlässig oder chaotisch, liebevoll oder mutig ist?
Schritt 3 - Metaebene: Notiert euch, was eurer Meinung nach die Person(en) mit dem Anlass der Veranstaltung verbindet. Was hat ein Paar gemeinsam und was nicht (Hochzeit)? Welche Aufs und Abs gab es im Leben (Runder Geburtstag)? Warum passt ein Job perfekt zu einer Person (Firmenjubiläum)? Warum sind christliche Werte wichtig für diesen besonderen Menschen (Konfirmation/Kommunion)?
Wie ihr die Geschichte aufbaut
Dieser Schritt ist magisch. Hier werdet ihr nämlich zum Geschichtenerzähler. Das Prinzip ist simpel: Erzählt vom Kleinen ins Große. Startet mit einer Anekdote und leitet daraus ab, warum sie typisch ist für den Charakter der Person oder die Beziehung eines Paares. Von dort schlagt den Bogen zum Oberthema der Veranstaltung: Warum passt eine Person mit genau diesen Charakterzügen (die ihr aus einer Anekdote ableitet) perfekt zu dem Job, den sie gerade macht? Warum glaubt ihr, dass dieses Paar, das so unterschiedlich/ähnlich ist (wie ein gemeinsames Erlebnis beweist), für immer zusammenbleiben wird?
Ihr seid noch unsicher? Kein Problem. Ich erkläre an einem Beispiel, wie ihr vorgeht:
- Ich habe Frieda in einer Kneipe namens “Trinkteufel” kennengelernt. Um ihren aufdringlichen Verehrer loszuwerden, hat sie ihm erzählt, ich sei ihr großer Bruder und nationaler Kickboxmeister. Dabei kannten wir uns gar nicht. Ich hatte ihr kurz vorher bloß Feuer gegeben.
- Das ist typisch für Frieda: Sie denkt unkonventionell und fackelt nicht lange. Gleichzeitig versprüht sie dabei so viel Charme und Lebenslust, dass man ihr nichts übelnehmen kann.
- Völlig klar, dass auch Antoni ihrem Charme sofort verfallen ist. Fünf Jahre ist das her und noch immer sind sie das perfekte Paar. Weil sie sich so gut ergänzen: Frieda bringt Antoni mit ihren Verrücktheiten in Schwung und Antoni bringt Frieda zur Ruhe.
Wie ihr einsteigt und wieder aufhört
Oft ist es hilfreich, sich selbst kurz vorzustellen oder in die Geschichte einzubinden. Wer seid ihr, wie ist eure Beziehung zu den Hauptpersonen, warum haltet ausgerechnet ihr diese Rede? Am Ende der Rede könntet ihr ein Element vom Anfang wieder aufgreifen: “Das Rauchen hat Frieda inzwischen aufgegeben. Statt aufdringlichen Verehren gibt es nun Traummann Antoni. Und wenn es drauf ankommt, bin ich immer noch der große Bruder und lerne zur Not sogar kickboxen!"
Wie schreibt ihr leicht und ohne Klischees?
Kein Nominalstil
Hier kommen ein paar Profitipps für eine lebendige und klare Sprache in eurer Rede: Vermeidet den Nominalstil, verwendet Verben! Statt: “Lachen ist ihr wichtig” schreibt: “Sie lacht gerne.” Statt: “Die Lösung des Problems war eine Herausforderung” scheibt: “Um das Problem zu lösen, setzte sie alle Hebel in Bewegung.”
Show don't tell
Streicht außerdem möglichste viele Adjektive und beschreibt stattdessen detailliert, warum ihr jemanden schön, klug, witzig oder liebenswert findet. Statt: “Ihr ansteckendes Lächeln” schreibt ihr: “Wenn sie lächelt, muss man Mitlächeln.” Statt “Er ist ein zielstrebiger Mensch” schreibt: “Wenn es ein Problem gibt, findet er eine Lösung.” So vermeidet ihr Floskeln und euer Text kommt den Personen viel näher.
Wie ihr Humor in eure Rede bringt
Sich selbst klein machen
Die wichtigste Regel lautet: Macht keine Witze auf Kosten anderer. Niemals. Seid lieber selbstironisch. Als Chef bei einem Firmenjubiläum könntet ihr sagen: “Als ich Cem einstellte, wusste ich natürlich schon, dass er viel schlauer ist als ich. Netterweise tut er bis heute so, als hätte er das noch nicht bemerkt.”
Der schräge Vergleich
Oder konstruiert einen übertriebenden Vergleich, indem ihr zwei Dinge zusammenbringt, die nichts miteinander zu tun haben. Die erste Sache ist konkret und aus dem wahren Leben, der Vergleich darf übertrieben, schräg oder überraschend sein. Er sollte an etwas aus der bisherigen Rede anknüpfen. “Dass Frieda und Antoni sich jemals trennen, ist so wahrscheinlich, als würde der ‘Trinkteufel’ plötzlich Spinat-Smoothies verkaufen.”
Bruch der Erwartung
Eine andere Möglichkeit ist, pathetisch zu starten und dann mit der Erwatung zu brechen, in dem man vom Pathos zu etwas ganz Banalem kommt: "Manchmal braucht die große Liebe eine magische Begegnung, einen schicksalhaften Zufall, eine günstige Konstellation der Sterne. Und manchmal braucht es für die große Liebe einfach nur ein Tinder-Profil mit einem vorteilhaften Foto."
Was kann ich gegen Lampenfieber tun?
Fast hätte ich geschrieben: „Trinkt ein Gläschen Sekt!“ Aber das ist natürlich keine Dauerlösung. Wenn euch das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlägt: Atmet tief durch die Nase ein, haltet sie kurz und atmet durch den Mund wieder aus. Ihr signalisiert dem Körper Ruhe. Macht euch klar: Es kann nichts schiefgehen, alle sind euch wohlgesonnen. Trickst euer Hirn mit positiver Visualisierung aus: Denkt nicht daran, was schiefgehen könnte. Stellt euch lieber das Lächeln der Gäste vor und die Umarmung der glücklichen Hauptperson.
Soll ich die Rede vorher üben?
Unbedingt! Je öfter ihr die Rede übt, umso sicherer werden ihr. Haltet eure die Rede ganz unironisch für eure Topfpflanze – so als sei sie das Publikum. Laden euch eine Testperson ein und beobachten ihre Reaktionen: An welchen Stellen hat sie geschmunzelt, wo hat sie vielleicht die Stirn gerunzelt? Fragt konkret nach, was eurer Testperson besonders gut gefallen hat und was nicht. Ob sie alles verstanden hat. Nehmt das Feedback ernst und passt eure Rede an.
Was mache ich, wenn ich mich verspreche, einen Hänger habe oder sonst irgendwas schief geht?
Nichts leichter als das! Bereitet einfach ein paar Sprüche vor, die ihr nur noch abrufen müsst. Gebt zu, dass ihr aufgeregt seid, und die Herzen werden euch zufliegen. Ihr könntet sagen: „Entschuldigen Sie bitte, als ich die Rede vor meinem Yucca-Palme geübt habe, habe ich mich nicht so oft verhaspelt!“ Oder: „An Ihren Gesichtern sehe ich, dass ich viel zu schnell rede. Ich bitte um Verzeihung, es ist einfach ein rasanter Tag.” Wenn ihr euch komplett verzettelt, sagt ihr: "Ok, diesen Satz habe ich richtig verkorkst. Ich fange nochmal von vorne an, ich hoffe, Sie haben Zeit." Fällt ein Stuhl oder ein Glas um, sagen sie: "Ich sehe, Sie können gut loslassen." Die Lacher sind auf Ihrer Seite und Sie können entspannt weitermachen.
Soll ich mir Stichpunkte machen?
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Ihr könnt die Rede komplett ausformulieren und ablesen. Oder ihr notiert nur Stichpunkte und sprecht so, als würdet ihr die Geschichte jemandem erzählen. Mit kurzen Sätzen, Dramapausen und Formulierungen, die wie in einem echten Gespräch beweglich und flexibel sind. Ich persönlich finde einen natürlich gesprochenen Satz überzeugender als den kunstvoll ausformulierten Satz, der abgelesen immer etwas steif wirkt.
Was soll ich anziehen?
Bedenkt, dass ihr bei der Rede stehen solltet. Alles daran ist besser: Eure Präsenz, das Volumen Eurer Stimme, der Kontakt zum Publikum. Tragt also ein Outfit, das gut aussieht, wenn ihr steht. Und tragt ein Outfit, in dem ihr euch sicher fühlt! Wer sonst nie einen Schlips trägt, wird sich nicht wohlfühlen. Wer High Heels nicht gewohnt ist, sollte sich nicht damit stressen. Orientieren euch an der Festgesellschaft, ob ihr seriös auftreten müsst oder ob es etwas flippiger sein darf. In jedem Fall sollte die Kleidung nicht zwicken, rutschen oder klappern. Klappern? Ja genau. Manchmal können klirrende Ohrringe, Armbänder oder Ketten enorm stören –, gerade wenn ihr ein Mikrofon benutzt.
Wie lang soll so eine Rede sein?
Ganz ehrlich: 5 starke Minuten, die eine bewegende Geschichte erzählen, sind besser als unsortierte 15 Minuten. Im Journalismus lernt man die goldene Schreibregel: “Kill your darlings.” Gemeint ist, dass die persönlichen Lieblingsstellen die Geschichte oft gar nicht weiterbringen. Also weg damit. Länger als 20 Minuten sollte die Rede auf keinen Fall werden. Das ist die magische Grenze, ab der die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörenden garantiert auf jeden Fall nachlässt – egal, wie gut die Geschichte ist.
Wo gucke ich hin, während ich spreche?
Wenn ihr mit Notizzetteln arbeitet, nehmt euch die Zeit, alle paar Sätze den Blick zu heben und die Hauptperson oder das Publikum anzusehen. Lasst eure Worte wirken, schaut in die Gesichter vor euch, nehmt Blickkontakt auf und lächelt, wenn es gerade passt. Ihr solltet nicht mit stocksteifer Grimasse vor dem Publikum stehen. Apropos Zettel: Wenn ihr aufgeregt seid, flattern und zittern die Zettel in euren Händen mit euch. Nehmt lieber feste Pappkarten.
Mikrofon oder lieber ohne?
Fragt vorher bei der Location nach, wie das normalerweise dort gehandhabt wird. Die VeranstalterInnen haben im Zweifel auch das technische Equipment vor Ort. Ich finde auch bei kleineren Gruppen ein Mikrofon oft entspannter, weil ich weiß, dass mich dann jeder gut verstehen kann und ich nicht darauf achten muss, lauter zu sprechen als normalerweise.
Was mache ich mit meinen Händen?
Bitte die Hände weder in den Hosentaschen vergraben noch in die Hüften stemmen, noch die Finger ineinander verkrampfen oder gar die Arme vor der Brust verschränken. Ihr könnt auch mit einer Hand eure Notizen oder ein Mikrofon halten. Umklammert aber bitte weder das eine noch das andere mit beiden Händen. Benutzt eure Hände, um eure Worte mit Gesten zu unterstreichen.
Ich wünsche euch viel Erfolg und viel Spaß bei eurer nächsten Rede! Ich hoffe, dass ihr es nach dieser Lektüre kaum erwarten könnt, selbst loszulegen. Für mich gibt es nämlich wirklich nichts Schöneres, als Menschen mit einer guten Geschichte zu begeistern.